28. „Gold to Go“ - Brauchen wir noch Diagnosen in einer inklusiven Gesellschaft?
Shownotes
Nur weil Unterschiedlichkeit akzeptiert ist, heißt das nicht, dass wir Unterschiede nicht mehr benennen sollten. In dieser Folge gehe ich der Frage nach, warum Diagnosen – am Beispiel ADHS – auch in einer ideal akzeptierenden Gesellschaft weiterhin Sinn machen: als Orientierung, als Zugang zu Wissen, Community, Strategien und ggf. Medikamenten, und als Grundlage für Forschung.
Wir sprechen mal über den Unterschied zwischen gesellschaftlichen Normen und inneren Belastungen, über Stigma rund um neurodivergente Diagnosen und warum Begriffe wie „ADHS“ helfen, Bedürfnisse überhaupt erst benennen zu können.
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Transkript anzeigen
00:00:01: Hi und herzlich willkommen zu einer neuen Folge Goal to Go, dem Format, bei dem ich mir immer so einzelne Teilaspekte von Neurodivergenz schnappe und sie kurz und knackig beleuchte.
00:00:12: Und heute schauen wir mal auf eine spannende Frage, die mich wirklich lange umgetrieben hat und die mir wirklich oft entgegnet wird, wenn ich darüber spreche, wie wichtig ich Diagnosen finde oder wie wichtig Diagnosen sind.
00:00:26: Dann kommt mir nicht gern, ja.
00:00:28: Aber wenn unsere Gesellschaft wirklich einfach mal alle Menschen so akzeptieren würde, wie sie sind, na dann, dann bräuchten wir doch eigentlich so neurodivergente Diagnosen wie ADHS gar nicht mehr.
00:00:40: Ich habe genau zu dieser Thematik vor einiger Zeit ein Reel veröffentlicht und dort klar gesagt, dass man das dann trotzdem noch braucht.
00:00:49: Mein Beispiel war das Thema Linkshändigkeit und ich habe gesagt, dass Zum Glück mittlerweile Linkshändigkeit und Rechtshändigkeit als zwei völlig gleichwertige Formen von Schreiben mittlerweile erstmal grundlegend akzeptiert sind.
00:01:06: Also es ist völlig klar, man kann eben linkshändig sein, man kann rechtshändig sein und beides ist erstmal völlig okay.
00:01:14: Dass in der Gestaltung von Umgebung noch Luft nach oben ist, ist nochmal ein anderes Thema und dieses Beispiel kann natürlich auch nicht jeden Teilaspekt komplett berücksichtigen und kann vielleicht auch nicht bis in die Tiefe als super Vergleich genutzt werden.
00:01:31: Da muss man dann schon noch eine differenzierte Transferleistung selbst leisten.
00:01:36: Aber es ist einfach mal ganz gut, um prägnant und anschaulich die Perspektive klarzumachen, um die es mir geht.
00:01:45: Nur weil Unterschiedlichkeit akzeptiert ist, heißt es nicht, dass wir Unterschiede dann nicht mehr zu benennen brauchen.
00:01:52: Denn auch in einer Welt, in der eben diese Linkshändigkeit erst mal ... soweit grundlegend akzeptiert ist und auch völlig okay ist und es auch erste oder sogar vermehrt jetzt Material gibt, dass man dann eben mit der linken Handgut nutzen kann, heißt das ja nicht, dass wir deswegen auf diese Beschreibung völlig verzichten können und sagen, ja man schreibt halt irgendwie, sondern es ist natürlich wichtig, dass ich mich eben als rechts oder linkshändig identifizieren kann, dass ich das benennen kann und deswegen auch zum Beispiel das passende Schreibgerät wähle.
00:02:24: Das Feedback.
00:02:25: Dass ich zu dem Reel bekommen habe, war sehr unterschiedlich, teils bestätigend, aber auch sehr kritisch.
00:02:32: Und weil eben so ein kurzes Reel das nicht in der Gänze so umfassen kann, schauen wir uns das jetzt mal in dieser Folge genauer an.
00:02:58: offene und akzeptierende Gesellschaft hätten, dann bräuchten wir ja gar keine neurodivagenten Diagnosen mehr.
00:03:06: Das betrachtet so die Idee von Neurodivagenz und die Schwierigkeiten damit, die entstehen ausschließlich im Spannungsfeld zwischen eigenem individuellen Verhalten und gesellschaftlichen Erwartungen.
00:03:19: Ganz konkretes Beispiel.
00:03:20: Kinder sollen in der Schule möglichst lange still sitzen.
00:03:25: aufmerksam sein und ihre Aufgaben da freudig erledigen.
00:03:29: Das schaffen auch neurotypische Kinder nicht einfach so und ist auch für sie eigentlich kein geeignetes Lernumfeld.
00:03:38: Aber Kinder, die aufgrund ihrer neurobiologischen Funktionsweise im Gehirn das noch schlechter schaffen oder die sich noch krasser anstrengen müssen, um das hinzukriegen, denen gelingt das in der Tendenz dann eben nicht.
00:03:54: Eheweg nicht den ganzen Schultag lang und die fallen dann irgendwann auf.
00:03:58: Und jetzt sagt man ja ja, wenn wir aber alle sagen würden, ach Mensch, die einen bewegen sich halt weniger, die anderen bewegen sich mehr, die einen arbeiten in kleinen Häppchen, die nächsten können das in einer längeren Konzentrationsspanne.
00:04:12: Alles völlig okay, alles ganz willkommen.
00:04:15: Dann, wenn wir das so sagen würden, dann ist doch völlig egal, ob wir nun benennen, dass ein Kind ADHS hat, dann brauchen wir diese Diagnose nicht mehr, weil es wird ja in der Art, wie es ist, völlig akzeptiert.
00:04:27: Soweit so gut, das ist ja auch erstmal in Teilen durchaus richtig.
00:04:35: Die Sache ist aber, dass eine neue Divergenz wie zum Beispiel ADHS nicht allein erklärt werden kann durch ein Konflikt mit Norm.
00:04:48: Diese Anschauung, die dahinter steckt, hat immer so ein bisschen.
00:04:50: die Idee von Neurodivagens gibt es eigentlich nicht so wirklich als eigenständige Diagnose, sondern da geht es eigentlich eher darum, dass da immer so ein Konflikt im Außen ist.
00:05:02: Und es stimmt so natürlich nicht.
00:05:05: ADHS habe ich, wenn wir mal bei dem Beispiel bleiben, egal wie akzeptierend mehr eine Gesellschaft damit begegnet.
00:05:14: ADHS geht ja nicht weg, nur weil ich Verständnis und eine passende Umgebung erhalte.
00:05:21: Das ist natürlich wünschenswert, aber die Idee von, dann brauchen wir das alles nicht mehr, weil dann spielt das keine Rolle mehr.
00:05:28: Die geht ja eben nur auf diesen Außenaspekt.
00:05:32: Und wie gesagt, er hat so ein bisschen die Idee von, weil eigentlich ist ADHS ja nur dieses Konflikting mit Norm.
00:05:40: Was dabei zum Beispiel außer Acht gelassen wird, dass es eben auch innere Schwierigkeiten oder innere Konflikte geben kann, die gar nicht so direkt durch gesellschaftlichen Druck belastet sind, sondern die mit mir selber zu tun haben.
00:05:54: Ein Beispiel wäre, dass es Menschen zum Beispiel mit ADHS deutlich schwerer fällt, Kontakt zu halten.
00:06:02: Zum Beispiel in digitaler Form, aber erst mal prinzipiell egal in welcher Form.
00:06:08: Das Kontakt halten, dass sich regelmäßig melden, regelmäßig in den Kontakt gehen, fällt neurodivergenten Menschen aus unterschiedlichsten Gründen einfach schwerer.
00:06:17: Und dann ist auch völlig egal, ob das gegenüber der super Verständnis voll ist und sagt, hey, das ist halt eine Art zu kommunizieren, ist voll okay.
00:06:25: Aber vielleicht möchte ich ja diesen Kontakt eigentlich haben, schaffe es aber nicht, weil mein Gehirn gefühlt gegen mich arbeitet.
00:06:35: Und dann kann ich mir das irgendwie gar nicht erklären, wo das herkommt.
00:06:39: Eine Möglichkeit ist auch so Sachen wie Hygiene.
00:06:43: Das ist nicht nur eine gesellschaftliche Erwartung, dass man sich die Zähne putzt.
00:06:47: Es ist vielleicht auch nicht nur eine medizinische Erwartung, dass man sich die Zähne putzt auch.
00:06:53: Aber ich habe eigentlich auch selber ganz gerne geputzte Zähne, weil ich das angenehm finde, weil ich dieses Gefühl im Mund, dass das da sauber ist, auch gut finde.
00:07:02: Mein Gehirn macht mir aber auch an der Stelle das Leben oft deutlich schwerer und ich muss mich viel mehr überwinden.
00:07:07: zu diesem sensorischen Ereignis.
00:07:10: Oder ich muss auch was weiß ich, was für Strategien zurückgreifen.
00:07:13: Ich kann nicht einfach ins Bad gehen und Medizine putzen.
00:07:15: Das macht mein Gehirn so auf diese Weise nicht mit.
00:07:18: Und wenn ich dann keine Diagnose habe, weil ... Natürlich schönerweise, meine Umgebung, dass super verständnisvoll ist, dass du bist halt jemand, dem das schwer fällt.
00:07:28: Oder du bist halt jemand, der nicht so gerne zähne putzt.
00:07:32: Du bist halt jemand, der den Kontakt nicht so halten kann.
00:07:37: Dann ist das meine einzige Erklärung.
00:07:39: Und wenn ich aber mit diesem Du bist halt jemand überhaupt nicht mich identifizieren kann, weil ich eigentlich gar nicht so jemand sein möchte oder gar keine Erklärung hab, warum?
00:07:48: ich so jemand bin, dann wird sich das schon auch belastend auf mein Selbstwertgefühl auswirken.
00:07:56: Ich erhalte auch an dieser Stelle wieder kein.
00:07:59: Warum ist das denn so?
00:08:01: Ich würde mich doch gerne tiefer verstehen.
00:08:05: Und da kann eine Diagnose eben wirklich entlasten, indem ich eine klare und eigentlich sehr unaufgeregte Antwort darauf erhalte.
00:08:15: weil ich etwas habe, das heißt ADHS und das sorgt dafür, dass mein Gehirn so und so und so funktioniert und darum fallen mir diese und diese Dinge schwerer oder darum fallen mir diese Dinge auch viel leichter als anderen.
00:08:28: Auch das kann ich ja beobachten, wenn ich dafür einfach eine völlig legitime Erklärung habe.
00:08:36: Außerdem ermöglicht mir so eine Diagnose schon auch den Zugang zu Ich sage mal anderen Strategien als nur dem gesellschaftlichen Verständnis von außen, sondern zu gezielten therapeutischen Maßnahmen oder gegebenenfalls zu Medikamenten.
00:08:53: Da wäre es schon gut, wenn man vorher eine fundierte Diagnose hat.
00:08:58: Und da ist eben auch klar, ja, braucht man denn noch Medikamente, wenn das außen nicht wäre und immer so Erwartungen hätte, die man nicht erfüllen könnte?
00:09:06: Aus meiner Erfahrung würde ich sagen, es gibt viele Dinge, die gar nicht von außen kommen, sondern aus mir heraus.
00:09:11: Und da hätte ich schon gerne eine Unterstützung, auch vielleicht in medikamentöser Form.
00:09:19: Und wenn es zum Beispiel darum geht, diese Bedürfnisse, die dann so toll von außen akzeptiert werden, nennen zu können, Brauche ich einen gewissen Zugriff auf das, was da mit mir los ist?
00:09:32: Viele brauchen die Auseinandersetzung mit einem Begriff, mit einer Beschreibung, um überhaupt erst mal sich zu verstehen, sich nochmal anders kennenzulernen und darauf aufbauen, dann sagen zu können, darum brauche ich das und das.
00:09:47: Denn eine Diagnose kann ja den Zugriff erleichtern oder zustande kommen lassen zu Extrem viel vorhandenem Wissen, dass ich mir da nicht mühsam individuell aneignen muss, sondern ich kann auch vorhandenes Wissen, vorhandene Strategien für sehr gängige ADHS-Symptome zurückgreifen.
00:10:07: Und der Weg dahin wäre einfach umständlicher, wenn ich irgendwie immer versuche, so Einzelmerkmale nachzuverfolgen, als wenn ich sage, hey, das und das, so heißt das, und das kann das und das.
00:10:18: sich bringen.
00:10:19: Das ist so ein krass anderer Andockpunkt, als immer nur Merkmale die Fuß zu beschreiben.
00:10:25: Das kann ich wirklich aus eigener Erfahrung sehr, sehr deutlich sagen.
00:10:28: Man kann auch viel schneller in den Austausch kommen.
00:10:31: Viel schneller kommt man, das merke ich auf der Social Media, miteinander in ein sehr unterstützendes Gespräch.
00:10:38: Man sagt, du bist Autistin, ich bin Autistin, kennst du das und das und das?
00:10:42: Natürlich ergeben sich auch tolle Austauschgespräche, wenn man auf der Merkmalsebene bleibt, ohne das da vorher zu nennen mit dem Autismus.
00:10:50: Aber es ist einfach zielgerichteter.
00:10:52: Es schafft ein gewisses, ah, du kennst also das gesamte Spektrum an Herausforderungen, das mir täglich begegnet.
00:11:01: Und ich muss mich nicht nur über diesen Einzelaspekt unterhalten.
00:11:11: Und mir ist auch dieser Punkt wirklich sehr, sehr wichtig, weil es in der Kritik auf das Real Estate oft hieß, ja, aber geht es nicht darum, dass einfach jeder seine Bedürfnisse äußern soll und die sollten dann immer respektiert werden.
00:11:24: Und man muss nicht immer davor, also dass man nicht immer so darauf angewiesen ist, zu sagen, ich bin Autistin, bitte glaub mir darum endlich, dass ich das und das brauche.
00:11:31: Und das ist ein total wichtiger Punkt und das ist momentan leider auch auf der Fall, das verstehe ich.
00:11:37: Und ich bin total dafür, dass eine so akzeptierende Gesellschaft natürlich allen Menschen die Bedürfnisse äußern, erst mal verständnisvoll begegnet und sagt, ja erst mal völlig egal, ob du Autistin bist oder nicht, wenn du jetzt Ruhe brauchst, dann schauen wir, dass du Ruhe bekommst, um es jetzt mal so ganz plakativ zu sagen.
00:11:53: Das Problem ist eben, und das ist meine ganz klare Erfahrung, dass dieses Verstehen von was sind eigentlich meine Bedürfnisse.
00:12:01: Warum sind diese Dinge so viel schwerer?
00:12:03: Warum sind diese Dinge so besonders leicht und für mich haben wir gar kein Problem, während andere damit zu kämpfen?
00:12:09: Da komme ich gar nicht hin, ganz oft, wenn ich mich nicht mit so einem... Begriff oder mit diesem ganzen Thema Neurodivergenz in Tiefe beschäftigen kann.
00:12:19: Oder ich komme viel, viel schneller, leichter und zielgerichteter dahin, wenn ich einfach ganz klar gesagt bekomme oder diagnostiziert bekomme, das und das ist der Fall, das liegt vor.
00:12:28: Und schau mal, es gibt schon ganz, ganz viele sehr umfassende Strategien, denn das ist ja gar kein neues Thema.
00:12:36: Und dann kann man natürlich jetzt auch sagen, Hä?
00:12:39: Aber man kann sich doch einfach auch so gut kennenlernen und dann eben über seine Schwierigkeiten mit anderen sprechen.
00:12:45: Ich kann das doch inhaltlich benennen.
00:12:47: Warum brauche ich denn da bloß diese Diagnose?
00:12:51: Und meine Erfahrung ist ganz klar, dieser Begriff ordnet und führt zielgerichteter und schneller zu den richtigen Unterstützungen, zu den richtigen Identifikationen, zum richtigen Austausch und dann eben zu einer besseren Ja, Hilfestellung auch im Alltag.
00:13:09: Da nochmal wieder das Linkshändigkeitsphänomen.
00:13:13: Es ist doch was völlig anderes, als wenn ich irgendwie den Fuß beschreibe, ja, also... Also ich schreibe oder ich mache so Dinge, ich benutze beide Hände, aber also mit der Rechenhand fällt mir das total schwer zu schreiben und es wird ja irgendwie komisch an und ich bin so viel langsamer und ich bin mit der linken Hand einfach irgendwie schneller.
00:13:34: Ich kann das dann danach alles beschreiben, aber viel einfacher ist es doch einfach zu sagen.
00:13:39: Ich mach mal mit der linken Hand, fällt mir leichter.
00:13:41: Ich bin linkshändig.
00:13:42: Und das ist auch für einen Gegenüber ein total schnelles Signal und hilft auch dem Gegenüber, viel schneller eine Idee davon zu bekommen, was ist hier Sache?
00:13:49: Linkshändig, okay.
00:13:51: Das bedeutet also, du kannst am besten mit Linkshänderprodukten arbeiten.
00:13:55: Du brauchst eine bestimmte Art und Weise, wo du am Tisch zum Beispiel in der Schule gut sitzen kannst, damit dich dein Arm beim Schreiben nicht stört und und und.
00:14:05: Natürlich... ist auch der andere Austausch.
00:14:07: Und dieses genauere Beschreiben anstellen wichtig.
00:14:11: Aber das andere ist einfach zielgerichteter und schneller.
00:14:14: Ich würde ja nicht ewig rum, ah ja, sondern ich würde einfach sagen, ja, ich bin übrigens Linkshänderin, deswegen nehme ich übrigens die Schere.
00:14:20: Wumms.
00:14:21: Im Übrigen, und diesen Punkt möchte ich nicht außer Acht lassen, Diagnosen und dieses ganze Feld ermöglichen auch Forschung.
00:14:31: Nur durch diese klaren Definitionen kann man da eben auch in einen Forschungsaustausch kommen.
00:14:36: Und darauf aufbauend gezielte Unterstützungsmethoden weiterentwickeln, vielleicht auch bestimmte Irrtümer wiederlegen.
00:14:44: und Forschung ist sehr, sehr wichtig.
00:14:46: Und die Forschung der letzten Jahre hat zum Beispiel dazu geführt, dass wir mittlerweile viel, viel mehr, noch zu wenig, aber immerhin viel, viel mehr über weibliche Neurodiverganz wissen.
00:14:57: Das ist ganz, ganz wichtig.
00:14:58: Und das würde sicherlich in einem anderen, ja ... Es wäre schwieriger, das Forschungstechnisch zu greifen, wenn man sagt, ja, diesen ganzen Diagnosekram braucht man ja eigentlich gar nicht mehr.
00:15:09: Ich würde übrigens sagen, dass zu dem Post, den ich da gemacht habe, zu dem Real, fünfzig Prozent der Rückmeldung eher deutlich kritisch waren.
00:15:17: Und diese Anteil an Menschen, die das kritisch gesehen haben, wollte vor allen Dingen weiter daran festhalten, Nein, Diagnosen können weg, wenn da nämlich nicht mehr der Druck ist, sich ständig erklären und rechtfertigen zu müssen, dann können die doch endlich weg.
00:15:35: Und jetzt, jetzt wird es ein bisschen unbequem, ich bin schon sehr dankbar für diese ehrliche Kritik, denn sie legt offen, dass Menschen, die genau das vertreten, leider das Stigma, um das es am Ende nämlich eigentlich hier geht, verhärten.
00:15:49: Denn was ja eigentlich gesagt wird, ist, ach Mensch, das wäre doch toll, wenn wir diese Diagnosen gar nicht mehr bräuchten, dann könnten die doch endlich weg, weil Die sind ja eigentlich nicht schön.
00:16:01: Die sind falsch.
00:16:02: Die sind ungut.
00:16:02: Das sind blöde Schublade.
00:16:03: Die sind unangenehm.
00:16:04: Die sind was Negatives.
00:16:06: Wie toll.
00:16:07: Oder wenn du die nicht mehr bräuchtest.
00:16:10: Und da liegt nämlich das Ding, dass das in diesen Bestreben Wege zu suchen, wie man die nicht mehr braucht, ist die grundlegende Haltung.
00:16:21: ADHS zu haben ist etwas Negatives und es wäre doch total toll für neurodivergente Menschen, wenn die diese doofe, doofe Diagnose nicht mehr nutzen müssten.
00:16:32: Und ich erlebe diese Dynamik von, oh, das brauchen wir doch eigentlich alles gar nicht mehr.
00:16:37: Und wie können wir das denn wegkriegen?
00:16:39: Ganz, ganz stark empfällt neurodivergente.
00:16:42: Ich habe noch nie jemanden sagen hören.
00:16:44: Ach, wenn wir endlich alle S-Verhalten akzeptieren würden, dann bräuchten wir gar keine Allergien mehr festzustellen und zu benennen.
00:16:52: Wenn wir unterschiedliche Stoffwechselfunktionen akzeptieren würden, nur die einen verwerten was besser, die anderen verwerten was schlechter, dann bräuchten wir keine Diagnosen mehr so um Schildtrüsen oder bräuchten wir keine Diabetesdiagnosen mehr.
00:17:04: Wenn wir unterschiedliche Seeweisen akzeptieren, dann bräuchten wir gar keine See-Tests mehr.
00:17:10: Jetzt könnte man immer sagen, ja, das ist aber der medizinische Bereich.
00:17:13: Und wenn man da bei Schilddrüsen nicht diagnostiziert, dann kann das zu schwerwiegenden weiteren Problemen führen.
00:17:20: Alle, die das jetzt so im Hinterkopf haben, dürfen sich sehr, sehr gern einlesen in die ganzen Komorbiditäten, also teils auch krankhafte Erscheinungsbilderfolgen, die eine unerkannt Neurodivergenz mit sich bringen kann.
00:17:35: Das könnt ihr euch wirklich mal durchlesen.
00:17:37: Das ist nicht nicht lustig überhaupt nicht und ist tatsächlich darum durchaus ein gewisses Stückchen weit vergleichbar.
00:17:45: Warum wollen wir also neurodivergenten Personen immer sagen, wenn hier alles, das mal so akzeptiert würde, dann brauchst du das nicht mehr?
00:17:54: Richtig, weil wir da ein negatives Stigma draufsehen.
00:17:58: Und solange so auf neurodivergents geschaut wird, werden wir erst gar nicht in die Akzeptanz von unterschieden kommen, weil wir eben bestimmte Unterschiede irgendwie dann doch nicht so gut finden wie andere, weil wir eben bestimmte unterschieden gegenüber dann doch irgendwie ein bisschen eine andere Hemmschwille haben.
00:18:18: Wir kommen in eine Akzeptanz von unterschieden nur dann, wenn wir auch völlig fein damit sind, dass Unterschiede klar benannt werden dürfen und existieren dürfen und diagnostiziert werden dürfen.
00:18:32: So kommen wir da überhaupt erst hin und das sehe ich auch immer wieder in meinem Klassenzimmer.
00:18:37: Wir sprechen.
00:18:38: So weit wie Kinder das erst mal möchten, die nehme ich natürlich mit auf dem Weg.
00:18:42: Ganz klar über jede Form von Unterschied, die es in einem Klassenzimmer gibt.
00:18:46: Und da gibt es ganz, ganz viele.
00:18:48: Und ich mache so gute Erfahrungen damit, eben zu sagen, wir sind doch alle, nicht zu sagen, wir sind doch alle toll, wie wir sind, sondern sich dann auch zu trauen.
00:18:56: Wie sind wir denn eigentlich?
00:18:58: Was macht uns aus?
00:18:59: Und Diagnosen dürfen dazugehören.
00:19:02: Also mein Fazit, auch in einer ideal akzeptierenden Gesellschaft ist eine Diagnose wichtig, als Orientierung und auch als Schlüssel zur Selbsthilfe und zum Selbstverständnis, nicht nur für diesen Konfliktkrams da im Außen.
00:19:21: Was aber in einer vollkommen akzeptierenden Gesellschaft anders wäre und da müssen wir hinkommen und es geht nur, wenn wir alle Unterschiede auch gleichwertig behandeln, ist der stigmatisierende Aspekt.
00:19:32: Und das wünsche ich mir, dass neue, divergente Menschen die Diagnose eben nicht mehr vorrangig brauchen, um vielleicht überhaupt irgendwie ernst genommen zu werden, um eine Erklärung für andere zu haben.
00:19:44: Das würde ich mir wirklich sehr, sehr wünschen, dass das wegfallen würde, dass dieses stigmatisierende Ding davon weg ist.
00:19:52: Und dass eine Diagnose in erster Linie dazu da ist, um sich selbst gut kennenzulernen, sich positiv zu identifizieren, um in Austausch zu kommen, um auch Forschung und Unterstützungsangebote leichter und schneller einfach zu strukturieren.
00:20:11: Ich hoffe, dass das ein bisschen klarer geworden ist und dass da nochmal ein paar Denkanstöße drin sind.
00:20:19: Ich würde auch in einer Welt, die mich und mein Verhalten komplett akzeptiert, das finde ich toll.
00:20:26: Trotzdem sehr, sehr gerne meine Diagnosen behalten und ich würde sie auch weiterhin so nennen, denn es hat etwas für mich mit Identifikation zu tun, mit einer Möglichkeit sich schnell und unkompliziert auszutauschen, schnell eine wichtige Information von mir an andere weiterzugeben, ohne in diesen diffusen Merkmalskatalog rumzuschwimmen, der auch eine Rolle spielen kann.
00:20:48: Aber das andere ist manchmal auch eine schnellere Message und damit einhergehend eben mein Wunsch, dass es vor allem die Diagnosen sind.
00:20:56: die wir erstmal stigmatisieren müssen, bevor wir hier von akzeptierender Gesellschaft sprechen.
00:21:01: Ohnehin, leider bei der politischen Lage eine OTP, aber ein bisschen träumen darf man ja vielleicht noch.
00:21:08: Solange das alles noch nicht der Fall ist, bekommt ihr hier weiter weiter Tipps, wie wir doch in ein mehr Verständnis kommen als Gesellschaft.
00:21:15: Und das wird auch in der nächsten Folge wieder so sein, da dann wieder ein Interviewformat, auf das ich mich sehr freue.
00:21:20: bis dahin.
00:21:22: Und zu guter Letzt natürlich noch ein herzliches Dankeschön an Jakob Jens und VoiceUp Productions für die Bearbeitung und die Produktion dieser Folge.
00:21:35: Ein Kopf voll Gold.
00:21:37: Was Neurodivagente Kinder brauchen und wie wir sie stärken können.
00:21:43: Ein Kopf voll Gold.
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